Zurück zur Unvernunft: Warum unsere Branche wieder spielen lernen muss
Vor kurzem haben wir bei KNSK eine kulturelle Transformation angestoßen und „Spielfreude“ zum Motto erklärt – als kulturelles Gegenprogramm zur Schwere, die sich in unserer Branche breitgemacht hat. Und das ist nicht als Floskel gemeint, sondern als bewusste Haltung: gegen Pessimismus, gegen Effizienzfokus, gegen das Denken in Excel-Logik. Für mehr Lust am Experiment, mehr Leidenschaft, mehr Kreativität.
Kim Notz
01. Juli 2025
Die falsche Antwort auf schwierige Zeiten
Wir kennen das Muster nur zu gut: Budgets schrumpfen, Entscheidungen ziehen sich endlos hin, Pitch-Prozesse werden immer zermürbender. Die gängige Reaktion? Mehr Effizienz, mehr Kontrolle, mehr Ernsthaftigkeit. Klingt vernünftig – und ist doch genau das Problem.
Denn Kreativität lebt nicht von Kontrolle, sondern von Mut. Von Reibung, Spiel und Übertreibung. Von Ideen, mit denen niemand gerechnet hat. Stattdessen behandeln wir sie wie einen Projektplan: fein getaktet, messbar, optimiert. Doch genau damit ersticken wir Stück für Stück das, was uns im Kern ausmacht.
Agenturen waren einmal Möglichkeitsräume
Früher waren Agenturen keine glattgebügelten Dienstleister, sondern Biotope für Querdenker:innen. Laut, wild, unangepasst – Orte, an denen die Luft vor Energie knisterte. Heute ist davon vieles wegsystematisiert: Kreativität in Gantt-Charts gepresst, in PowerPoints, Feedback-Schleifen und Teams-Ordner. Hoch organisiert, aber oft ohne Seele.
Doch starke Ideen entstehen nicht nach Zeitplan. Sie entstehen in den Zwischenräumen: im Streit, im Zweifel, im Spiel. Ihre Kraft liegt oft genau in dem, was sich am Anfang „falsch“ anfühlt – im Ton, der aneckt, im Gedanken, der nicht in die Reihe passt.
Der Verlust des Eigensinns
In einer Branche, die immer stärker auf „Passung“ optimiert ist – zum Kunden, zur Sprache, zur Kultur – bleibt kaum noch Raum für das Schräge, das Unangepasste. Side Hustles verschwinden, persönliche Handschriften lösen sich im System auf. Dabei waren es immer die Querköpfe, die frische Perspektiven eingebracht haben. Nicht aus Eitelkeit, sondern weil sie schlicht nicht anders konnten.
Vor diesem Hintergrund ist eine aktuelle Adweek-Studie aufschlussreich: Fast die Hälfte der Mitarbeitenden in Netzwerkagenturen hat innerlich längst gekündigt. Bei unabhängigen Agenturen liegt der Wert niedriger – bei rund 30 Prozent –, doch auch das ist viel zu hoch. Wie meine Kollegin Nina Rieke kürzlich auf LinkedIn schrieb, verlassen viele der besten Köpfe die Agenturwelt ganz, weil sie sich mit einem auf Effizienz getrimmten Geschäft nicht mehr identifizieren können.
Führung heißt Raum geben, nicht Raum kontrollieren
Viele Führungskräfte bewegen sich heute irgendwo zwischen Margendruck und Ressourcenplanung – und verlieren dabei den Blick fürs Wesentliche: Ist die Agenturkultur stark genug, um Ideen hervorzubringen, die wirklich etwas auslösen? Gute Führung schafft nicht nur Struktur, sie schützt auch das Unfertige. Sie lässt Chaos zu – nicht aus Unordnung, sondern aus dem Wissen heraus, dass Ideen Raum brauchen. Und Vertrauen. Nur so lässt sich eine Kultur bewahren, in der große Talente gedeihen – und, noch wichtiger, bleiben wollen.
Natürlich braucht es KPIs, Planung und Struktur. Aber kreative Wirkung misst sich nicht in Effizienz – sondern in Gänsehaut. In Momenten, die bleiben. Wenn wir Ideen nur danach bewerten, wie reibungslos sie den Prozess durchlaufen, verlieren sie ihre Kraft. Und Marken verlieren ihre Bedeutung.
Ohne Narr keine Wahrheit
rüher hatten Königshöfe ihre Narren – eine eingebaute kritische Instanz. Genau diese Figur fehlt heute in den meisten Teams: jemand, der übertreibt, widerspricht, provoziert. Jemand, der sichtbar macht, was sonst im Verborgenen bliebe. Innerhalb des Teams – und auch gegenüber den Kunden. Eine kluge, unbequeme Stimme, die nicht da ist, um zu gefallen, sondern um etwas zum Klingen zu bringen. Doch allzu oft passen wir uns an, statt zu irritieren. Aber wer nicht stört, überrascht auch nicht.
Ein Plädoyer für Unvernunft
Lasst uns wieder spielen. Übertreiben. Scheitern. Laut denken. Lasst uns Räume schaffen, in denen Ideen nicht durchkommen, weil sie sicher sind – sondern weil sie etwas auslösen, weil sie Menschen bewegen. Wir haben den besten Job der Welt. Aber wir werden ihm nur gerecht, wenn wir aufhören, ihn wie jeden anderen zu behandeln.
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